Projekt

Christoph Görke: SMD

Wie eine Gesellschaft ihren öffentlichen Raum gestaltet, lässt Rückschlüsse auf deren Werte, Wohlstand und technischen Fortschritt ziehen. Christoph Görke greift aus diesem Zusammenhang die riesigen LED-Bildschirme auf, die nach und nach viel besuchte Plätze und Transitzonen erobern. „SMD“ ist der Titel seiner Arbeit und gleichzeitig Abkürzung für ein Bauteil eben dieser Bildschirme: „Surface-Mounted Device“ (dt.: oberflächenmontiertes Bauelement). Über mehrere Monate wird sich der Künstler in den Räumlichkeiten der innogy SE mit dem detailgetreuen und gleichzeitig großdimensionalen Nachbau einer solchen Einheit befassen – aus Altpapier-Verbundstoff und ohne sämtliche elektronischen Elemente. Es entsteht ein unbewegter Monolith, der, seiner Funktionen beraubt und bloßes Abbild, seine Form der Repräsentation ändert: er fragt nach der Verantwortung für Ressourcen, Produktionsprozesse und geteilte Güter. #VISIT2019

VISIT Stipendiat Christoph Görke will im Verlaufe seiner Residenz eine großformatige Skulptur erschaffen, das Abbild eines Bildträgers, einen LED-Screen aus Altpapier-Verbundstoff. Im September 2019 richtete er dazu eine Werkstatt in der Konzernzentale in Essen ein und erläuterte uns im Gespräch die Hintergründe seines Vorhabens, dem er den Namen „SMD“ (Surface Mounted Device) gegeben hat.

Hallo Christoph Görke. Du arbeitest als studierter Bildhauer skulptural, aber häufig mit einem speziellen Ort verknüpft. Was interessiert dich hier besonders?

Das stimmt, ich arbeite überwiegend raumbezogen, häufig auch im öffentlichen Raum oder in Kooperation mit anderen Künstler*innen an Ausstellungsorten oder selbstorganisierten Locations. Raumbezogen meint dann, dass ich die dort vorgefundenen Materialien zur Grundlage nehme oder ortsspezifische Themen, das Publikum oder die Menschen, die sich dort bewegen, mit einbeziehe. Ein gutes Beispiel wäre etwa ein Projekt, das ich 2018 im Rahmen der Ausschreibung „Fliegende Monumente“ am Worringer Platz in Düsseldorf realisiert habe. Der Worringer Platz gestaltet sich eher als Verkehrsinsel mitten im Stadtgebiet. Etliche Gruppen drogenabhängiger, obdachloser und arbeitsloser Personen halten sich jeden Tag da auf, während Passanten nur durchströmen. Alles ist immer in Bewegung und rundherum entstehen ständig neue Baustellen. Geprägt von diesem Eindruck wollte ich eine eigene Baustelle auf dem Platz entstehen lassen und als Versuchsraum nutzen, um aus Steinwolle wieder einen Stein zu pressen. Der Stein bezog sich auf die Größe der Pflastersteine vor Ort. Das Projekt lief über einen Monat auf dem Platz. Das Presswerk wurde aufgebaut, der Pressversuch durchgeführt und am nächsten Tag wieder alles abgebaut. Das Spannende für mich, war zu erfahren: was passiert an diesem Ort, in diesem Umfeld, mit den Leuten, die dort sind? Ich war sehr viel mit den Menschen vom Worringer Platz in Kontakt, während ich dort gearbeitet habe und erlebte ein großes handwerkliches und technisches Verständnis für den Aufbau und den gesamten Prozess. Viele hatten schon auf dem Bau gearbeitet oder handwerkliche Ausbildungen abgeschlossen. Nach und nach haben Einige angefangen mitzuarbeiten und schließlich zeichnete sich in gewisser Weise eine Identifikation mit der Arbeit beziehungsweise mit der Situation der offenen Baustelle ab. Dadurch wurde ich in manchen Situationen eher zum Mitarbeiter und lernte von den Leuten vor Ort.

Auch die Arbeit, die du im Rahmen des VISIT Stipendiums umsetzen möchtest, soll in minutiöser Kleinstarbeit und unter Aufwand von möglicherweise hunderten Arbeitsstunden entstehen. Was hast du vor?

Hier will ich die aus dem öffentlichen Raum bekannten, riesigen LED-Videowände nachformen.
Allerdings nicht als technisches Element, sondern als Körper oder Fläche, die aber nicht beleuchtet wird.
Das Wiedererkennen als LED-Wand erfolgt durch Struktur und Platzierung des Objektes, nicht in seiner Funktionsweise.
Der Arbeitsaufwand ist wiederum enorm: Es fängt an mit einer einzelnen, winzigen LED, die ich aus Wachs nachbilde. So sollen schrittweise 3600 wächserne LEDs gegossen werden. Die so hergestellten LED Imitate werden rasterförmig auf einem Panel, also einer Platte, angeordnet. Im Anschluss wird diese „Mutterplatte“ wiederum abgeformt, um eine Form herzustellen, durch die das Panel vervielfältigt werden kann. Als Material soll Altpapier mit einem Bindemittel aus nachhaltigen Rohstoffen verwendet werden, es stehen allerdings noch einige Materialtests aus.
Die Herstellung des Panels erfolgt in den Büroräumen des Konzerns, Tisch an Tisch mit den Leuten, die dort arbeiten, und auch in deren Arbeitsrhythmus. Ich weiß natürlich noch nicht, was passiert, aber ich erhoffe mir durchaus Kontakt und Austausch. Viele Aspekte der Arbeit habe ich bisher noch offen gelassen, weil die Reaktionen und Meinungen noch Einfluss darauf nehmen sollen, wo die am Ende zu sehen sein wird, in welchem Kontext, zu welcher Zeit. Darum bin ich direkt im Unternehmen.

Als Ausgangspunkt deiner Überlegungen gelten die großformatigen LED Bildschirme im öffentlichen Raum, die nach und nach immer präsenter wurden und sich nun mit ihren schillernden Werbebildern selbstverständlich ins Stadtbild einfügen. „SMD“ hat jedoch keine elektronischen Komponenten und bleibt somit finster – was zeigt diese schwarze Wand?

Es ist wichtig, dass die Skulptur sich als Nachbildung seines Vorbildes erkennen lässt. Es muss also tatsächlich aussehen, wie eine schwarze (nicht funktionierende) Videowand, damit diese Arbeit funktionieren kann.
Eigentlich sind diese Flächen dazu da, uns im öffentlichen Raum Bilder zu zeigen. Sie verführen uns und gleichzeitig führen sie uns wieder aus diesem Raum heraus. Man kommt über sie in einen digitalen Raum, einen Informationsbereich hinein, der mit dem physischen Ort erst mal nicht direkt verknüpft ist. Durch die ständige Präsenz digitaler Informationen befinden wir uns ja permanent gleichzeitig in zwei oder mehr Räumen.
Der Bildträger, der als solcher nicht funktioniert, stellt dieses Prinzip in Frage. Er schafft eine
Atmosphäre, die aus der Verbindung mit dem Umfeld entsteht. In dem Moment, wo man erkennt, dass es sich um eine LED-Wand handelt, werden Bilder im Kopf herauf beschworen, und zwar davon, was hier eigentlich gezeigt werden könnte. Man fängt möglicherweise an zu assoziieren, und fragt sich: Warum ist dieser Bildschirm eigentlich ausgeschaltet? Was bedeutet es überhaupt, dass so ein Bildträger laufen kann? Was für einen Aufwand benötigt das? Was ist das für ein Bild einer Konsumkultur, das hier präsent wird?
Aber abgesehen von soziologischen Fragestellungen interessiert mich auch der Produktionsprozess selbst, und zwar nicht nur bezogen auf technische Details, sondern auf das zweite in-die-Welt-treten des Produktes. Ich empfinde die Herstellung des Screens nach, indem ich 3600 LEDs aus Wachs forme und damit ein Panel bestücke, das dann später wieder abgeformt wird. Dabei injiziere ich in den Produktionsweg eine Zeitlichkeit, die bei konventionellen Produktionstechniken niemals gegeben wäre.
Und damit erhält die 'Arbeit an sich' eine weitere Dimension und Sinnhaftigkeit, die außerhalb der Logik des Fertigstellens liegt.

Warum interessiert dich VISIT und die Zusammenarbeit mit dem Unternehmen?

Zum Einen finde ich es natürlich spannend, unbekanntes Terrain zu betreten. Ein Unternehmen, das sich tagtäglich mit dem omnipräsenten Energiediskurs und seiner gesellschaftlichen Dimension auseinandersetzt ist für mich ein spannendes Feld, gerade weil es so eine hitzige Debatte darüber gibt.
Ich möchte mich dem annähern, ohne vorab Position zu beziehen. Das ist zwar schwierig, aber die Arbeit hilft mir dabei, weil ich mich auch darin zurückziehen kann. Jedenfalls erfahre ich nicht, wie sich Unternehmen und Mitarbeiter*innen mit ihrer Arbeit auseinandersetzen, wenn ich mich an den Rechner setze und recherchiere. Das kann ich nur erfahren, wenn ich vor Ort bin und mich austauschen kann. Das ist eine großartige Möglichkeit für mich.