Die aus Berlin stammende Künstlerin Yvon Chabrowski beschäftigt sich damit, wie sich ökonomische und gesellschaftliche Transformationen in den Körpern der Individuen einschreiben, die unsere Gesellschaft bilden. Im Rahmen ihrer VISIT Residenz widmet sie sich dem Ruhrgebiet, wo die Stilllegung der zahlreichen Zechen sich nicht nur landschaftlich und kulturell bemerkbar macht, sondern sich vielleicht auch an der Erscheinung der Ruhrgebietler*innen ablesen lässt: wie verändern sich unser Körper, der Gang, der Atem, die Rollenverteilung, die Zuschreibungen? „BODIES IN TRANSITION“ wird eine intensive Recherchephase voraus gehen, in der Yvon Chabrowski Arbeitsprozesse, Gesellschaftsstrukturen und ökonomischen Wandel im Ruhrgebiet untersucht. Die Erkenntnisse dieser Studien sollen ihre Form in einer performativen Videoskulptur finden. #VISIT2019
Website von Yvon Chabrowski
Liebe Yvon Chabrowski. Häufig findet sich der Körper im Mittelpunkt deiner Arbeit wieder. Was lässt sich für dich aus ihm lesen?
Ich arbeite zum Verhältnis von Körper und Bild. Das heißt ich will ergründen, welche Bilder sich in unsere Körper einschreiben. Es gibt gesellschaftliche Vorbilder, die sich als Posen oder Haltungen in unseren Körpern manifestieren. Unbewusst wird reproduziert, was wir gelernt haben. Zugleich sehen wir, was wir kennen.
Mich interessiert das Verhältnis unserer Körper zu eben diesen Bildern. Wie treten wir in Wechselbeziehung zu den Vorbildern und wie schreiben sich deren Posen in unsere Körper ein?
Diese Fragen beschäftigen mich schon seit langem. In meiner frühen Arbeit Lynndie England I-III aus dem Jahr 2006 stellte ich Posen der gleichnamigen Soldatin nach. Sie hatte im Gefängnis Abu-Ghuraib im Irak Gefangene misshandelt und folterte sie zusätzlich dadurch, dass sie sich mit ihnen in Überlegenheits-Posen inszenierte und fotografierte.
Sie nahm etwa einen Inhaftierten an die Leine und posierte mit ihm für die Kamera. Dieses Foto ging damals um die Welt.
Mich traf dieses Bild ebenfalls wie ein Blitz, weil es auch die weltberühmte Aktion von Valie Export und Peter Weibel von 1968 gibt, in der Valie Export mit Peter Weibel an der Leine durch Wien spaziert, woraus damals eine explizit feministische Diskussion entstanden ist. Jahre später diesem Foto zu begegnen, wo diese Pose in einer Situation der Folter genutzt wurde, das war für mich ein Initial-Erlebnis. Wie konnte diese Pose, in der sich ein männlicher und ein weiblicher Körper zueinander ins Verhältnis setzten, so unterschiedliche Rezeption finden.
Deine aktuelle Arbeit heißt „WE HAVE A BODY“, eine Koproduktion mit den Berliner Uferstudios. Wonach fragt diese Arbeit und was liegt ihr zu Grunde?
Die Performance folgt dem Gedanken, dass Posen sich in unsere Körper einschreiben und tatsächlich unsere Haltung und damit auch das Verhältnis in dem wir uns zueinander verhalten, bestimmen.
Als ich damals die Posen der Lynndie England und von Valie Export nachgestellt habe, habe ich noch meinen eigenen Körper genutzt. Inzwischen arbeite ich mit Performern, aber auf ähnliche Art und Weise: in einem ersten Arbeitsschritt stelle ich umfangreiche Bildersammlungen her.
In den letzten Monaten sammelte ich Abbildungen mit Posen aus Kunst, Tanz und Sport, von griechischer Mythologie bis hin zu Werbebildern des Industriezeitalters, darüber hinaus christliche Ikonographie und ideologisch vereinnahmte Körperdarstellungen.
Aus dieser sehr umfangreichen Sammlung entwickelte ich fünf unterschiedliche, heterogenen Skripte für die Zusammenarbeit mit den fünf Performenden Renen Itzhaki, Jan Rozman, Kareth Schaffer, Martina Garbelli und Nasheeka Nedsreal.
Während der Arbeit zur Performance haben sich die Performenden und ich gefragt, wie man aus dem bestehenden Posen- und Bewergungs-Repertoire, mit dem wir alle sozialisiert sind, ausbrechen kann, um neu zu denken, neue Bewegungen zu finden, die uns in ein anderes Verhältnis zueinander bringen?
Deine Arbeit mit VISIT beschäftigt sich mit einer spezifischen Kultur und ihren Körperbilder – der des Ruhrgebiets. Was lässt sich an diesem besonderen Gebiet und seinen Menschen untersuchen?
Während einer Zugfahrt Anfang diesen Jahres durch das Ruhrgebiet habe ich verstanden, dass die Energiewende, also das Ende des Steinkohleabbaus und die Digitalisierung – ähnlich wie während der Industrialisierung – unsere Arbeitsprozesse verändert und einen gesellschaftlichen Strukturwandel bedeutet.
In dieser Region ist der Wandel in besonderem Maße sichtbar.
Ich möchte diesen gesellschaftlichen Umbruch untersuchen und herausfinden, wie sich unsere gesellschaftlichen Vorbilder und damit auch unsere Körper verändern.
Energie soll nun nach und nach anders erzeugt werden, als in den letzten Jahrzehnten. Neue Arbeitsbedingungen, neue Arbeitsstätten, und die Frage ist: Was passiert mit diesen Körpern, die zuvor von der Art der Ressourcenschöpfung geprägt waren, die wiederum von der Gesellschaft und ihren Anforderungen generiert wurden? Die Menschen, die nun ihre identitätsbildende Arbeit verloren haben, das sind ja hauptsächlich männliche Arbeiter. Die Frage ist: wie können die sich nun neu Konstituieren? Hier geht es klar auch um ein Konzept von Männlichkeit.
Ich möchte diese Fragen im Rahmen von VISIT zunächst untersuchen, ich kenne die Antwort noch nicht.
VISIT befasst sich mit Energie, mit Transformation und gesellschaftlicher Entwicklung. Wie kamst du darauf, dich mit genau dieser Arbeit zu bewerben?
Ich habe lange überlegt, ob mein Konzept zu der Ausschreibung überhaupt passt. Doch nach einigem Hin und Her war mir klar: doch, eine performative Arbeit mit dem Körper als Ausgangspunkt von Wandel, das passt sogar genau. Denn eine Energiewende bedeutet, dass es bestimmte Körper schlicht nicht mehr braucht. Manche Körperkonzepte haben keine Funktion mehr - Welche Transformationsprozesse bringt das mit sich? Energie bedeutet beides: Woher bekommen wir Energie, die wir brauchen, und wo schlägt sich die Arbeit, um sie zu erhalten, eben auch in den Körpern nieder?
Wenn sich die Arbeitsprozesse ändern, ändert sich auch eine Gesellschaft. Und so ein Zeitpunkt bietet die Gelegenheit, ganze gesellschaftliche Strukturen neu aufzubauen, zum Beispiel in Hinsicht auf geschlechtstypische Rollenverteilung. Genau jetzt kann man eine Gesellschaft neu denken.